Der “Opus Award Deutscher Bühnenpreis” ging in diesem Jahr an zwei Gewinner. Einer davon ist das „Dionysos Stadt Open Air“, welches mit viel Mut und einer beeindruckenden Kulisse, Kunst- und Kulturerlebnisse für ein größeres Publikum unter der Einhaltung aller Restriktionen möglich gemacht hat.
1. Ihre „Dionysos Stadt Open Air“ wurde mit dem Opus Award ausgezeichnet. Hätten Sie damit gerechnet?
Dionysos Stadt war eine der erfolgreichsten und meistbeachteten Inszenierungen der letzten Jahre. 2018 kam sie an den Münchner Kammerspielen heraus, ich war als Dramaturg an der Produktion beteiligt. In Reaktion auf die Corona-Pandemie errichteten wir, das Künstlerhaus Mousonturm sowie das Frankfurt LAB und seine Partner, auf der Offenbacher-Frankfurter Stadtgrenze im Sommer und Herbst 2021 eine „Corona-kompatible“ Freilichtbühne, den Sommerbau nach Plänen des Architektenkollektivs raumlaborberlin. Wir haben Christopher Rüping, den Regisseur von Dionysos Stadt eingeladen, die Produktion extra für diese Bühne als Open Air Version zu adaptieren und umzuarbeiten. Der Probenprozess war intensiv. Die Reaktionen des Publikums waren jedoch enthusiastisch und auch für alle Beteiligten war dieser kräftezehrende Prozess ein großer Erfolg. Dass die Arbeit dann mit den Opus Award ausgezeichnet wird, ist eine großartige Überraschung, die unsere Arbeit auf eine ganz besondere Weise abrundet.
2. Ein Theater-Marathon unter Corona-Bedingungen – das klingt wie eine Mammutaufgabe. Wie ist die Idee dafür entstanden? Und warum gerade zu diesem Zeitpunkt?
Tatsächlich war das Projekt eine Mammutaufgabe – denn der Sommerbau entstand parallel zu den Planungen für das Stück selbst. Der Sommerbau an sich war bereits ein gigantisches Projekt und musste in all seinen Eigenheiten und Charakteristika als Bühne in den Proben erst entdeckt werden. Die Proben und Aufführungen fanden unter freiem Himmel statt. Wir hatten Glück mit dem Wetter. Das war zwar wechselhaft, hat aber wie bestellt in den kritischen Momenten gehalten. Beinahe genauso wechselhaft waren die sich ständig ändernden pandemischen Rahmenbedingungen, auf die reagiert werden musste. Innenräume waren aus Angst vor Ansteckungen unsicher geworden und durften mitunter gar nicht bespielt werden. Dagegen hatte sich im Sommerhalbjahr 2020 gezeigt, dass im Außenraum noch die relativ meisten Begegnungen möglich waren, dass sich sogar eine starke Wetter-Toleranz eingeschlichen hatte, um eben jene Begegnungen zu ermöglichen. Wir wollten die unter Corona-Bedingungen stattfindenden und meist als defizitär empfundenen Kunsterlebnisse endlich in einen Mehrwert umschlagen lassen – eine spektakuläre, Corona-sichere Theaterarchitektur, bespielt unter anderem von einer der erfolgreichsten und großformatigsten Inszenierungen der letzten Jahre.
3. Zehn Stunden Theater am Stück ist für Schauspieler, Personal und Zuschauer sicher ein Spektakel, aber auch eine Herausforderung. Wie wurde das Stück von allen Beteiligten aufgenommen?
Nach Monaten der selbstauferlegten oder erzwungenen Isolation war spürbar, wie sehr sich das Publikum aber auch wir als Kunst- und Theaterschaffende nach direkten, physischen und intensiven Begegnungen gesehnt hatten. Dionysos Stadt basiert auf einem antiken Theaterformat, den Großen Dionysien. Während der Dionysien, dem Fest zur Feier des Gottes Dionysos, kam das antike Athen über Tage hinweg zusammen, um Theater zu sehen und zu spielen, aber auch Riten zu begehen oder demokratische Prozesse auszuhandeln. Dagegen sind die zehn Stunden Dionysos Stadt Open Air fast ein kleiner Happen. Die Schauspieler*innen wurden in dieser Version aber nicht nur durch die Dauer gefordert, sondern auch durch die besondere Situation des Sommerbaus, einem sechseckigen Bühnenraum, in dem das Publikum auf fünf von sechs Seiten sitzt, verteilt auf drei Etagen. Die Schauspieler*innen müssen also 360° spielen, sie müssen alle Richtungen zugleich und verschiedene Stockwerke adressieren. Es gibt keinen Ort auf der Bühne, auf dem man sich verstecken könnte. Das Team hat die Herausforderung angenommen und sich mit Enthusiasmus daran gemacht, sie zu bewältigen. Das war auch für das Publikum spürbar, das die Inszenierung gefeiert hat. Die Tage in der Peripherie zwischen Offenbach und Frankfurt waren ein Fest. Wir wollten mit dem Sommerbau und Dionysos Stadt Open Air Gemeinschaftserlebnisse stiften. Das ist uns gelungen.
4. Was waren die größten Herausforderungen für Sie?
Davon gab es viele. Pandemische, dispositionelle, finanzielle, lärmschutztechnische, künstlerische. Eine zehnstündige Inszenierung in einem temporären Theaterbau unter freiem Himmel ist eine große Aufgabe. Am Ende konnten wir das Projekt umsetzen, weil sich alle Beteiligten auf die Arbeit eingelassen haben und unglaubliche Flexibilität und Belastbarkeit gezeigt haben. Dass so lange nicht gespielt werden konnte, hat sicherlich den Ehrgeiz angestachelt. Das gilt auch für die Münchner Kammerspiele, die uns bei der Umsetzung auf so vielen Ebenen unterstützt haben, und denen ich an dieser Stelle nochmals besonders danken möchte. Eine große Herausforderung war sicherlich auch, nach Monaten der Pandemie überhaupt wieder in das Bewusstsein des Publikums zu gelangen. Sichtbar zu machen, dass es das Theater noch gibt, dass es gerade in den Gemeinschaftserlebnissen, die es stiftet und verhandelt wichtig und relevant ist.
5. Würden Sie noch einmal so ein Projekt in Angriff nehmen?
Künstlerisch: Jederzeit. Da dieses Projekt aber vor allem in Reaktion auf die Corona-Pandemie entstanden ist, hoffen wir, dass wir das nicht so schnell wieder machen müssen, sondern mit den nächsten Großprojekten wieder in die Spur einer irgendwie gearteten Normalität zurückfinden. Großprojekte stehen bereits genug an. Zum Beispiel veranstalten wir mit Politik im freien Theater im Spätsommer/ Herbst 2022 und Theater der Welt 2023 zusammen mit mehreren Partner*innen in Frankfurt und Offenbach zwei große internationale Theater-Festivals, für die wir gerade unsere Kräfte bündeln.
6. Die Pandemie hat gerade die Kunstschaffenden und die Veranstaltungsindustrie sehr hart getroffen. Wie sehen Sie die Zukunft?
Was uns in dieser Krise stark geholfen hat, waren das enorme Vertrauen, Engagement und die Dialogbereitschaft der Kulturpolitik und Fördergeldgeber*innen. Ohne sie wäre so ein Projekt nicht möglich gewesen und auch ihnen möchte ich an dieser Stelle noch einmal danken. Diese äußerst konstruktiven Arbeitserfahrungen haben uns bisher durch die Pandemie getragen. Niemand weiß, was in der Zukunft passiert, aber ich hoffe, dass wir diese Erfahrungen mitnehmen können. Denn es stehen genug Herausforderungen an, für die wir auch in Zukunft ähnlich kreative Lösungen finden wollen.